====== Die Gruppe ====== ===== Definition ===== Eine Gruppe ist ein Zusammenschluss von mehreren Menschen, welche sich zusammengehörig fühlen, oder welche ein gemeinsames Ziel verfolgen. Zusammengehörigkeitsgefühl bildet sich im Ferienlager innerhalb der einzelnen Gruppen aus, aber auch innerhalb des ganzen Lagers. So ist oft zu beobachten, dass andere Gruppen in Herbergen, die nicht zum Ferienlager gehören, als „Fremde" wahrgenommen werden. Am Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Gruppe kann der Gruppenleiter auf direktem Wege nur wenig ändern. Das Ziel einer Ferienlagergruppe ist etwas schwierig zu definieren. Triviales Ziel ist hierbei, die Zeit gemeinsam zu verbringen. Je deutlicher dieses „Gruppenziel" ist, desto größer wird wiederum das Zusammmengehörigkeitsgefühl. Der Gruppenleiter kann also zum Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb seiner Gruppe beitragen, indem er Ziele klarmacht. Denkbar ist „Wir wollen heute im Wald eine Hütte bauen" oder „Bei dem Geländespiel gewinnen wir". Der Gruppenleiter kann das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken, indem er mit der Gruppe „herausarbeitet", dass die Ziele nur gemeinsam erreicht werden können. ===== Arbeiten mit Gruppen ===== Ruth Cohn entwickelte ein Modell zur themenzentrierten Interaktion. Interaktion ist die Auseinandersetzung mit einer oder mehreren Personen zu einem bestimmten Sachverhalt (Thema). Dieses Modell zeigt das folgende Bild. {{:leitfaden:interaktion.png?350|themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn}} | Ich | = | die einzelnen Personen | | Wir | = | die Gruppe bzw. die Interaktion in der Gruppe | | Es | = | der Lernstoff, die Arbeitsaufgaben und gemeinsam zu bearbeitende Themen | |Umwelt | = | alles was den Einzelnen und die Gruppe umgibt und beeinflusst | Alle diese Faktoren spielen in einem Gruppenprozess eine bedeutende Rolle und beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. ===== Gruppen-Phasen ===== Eine Gruppe ist kein starres Gebilde, sie ist sehr dynamisch und durch die einzelnen Mitglieder sehr individuell. Das bedeutet, dass keine Gruppe identisch zu einer anderen ist. Trotzdem lassen sich Phasen erkennen, die jede Gruppe mehr oder weniger intensiv durchläuft. Der Gruppenleiter hat in jeder Phase andere Aufgaben. ==== 1. Orientierungsphase ==== Zu Beginn sind sich die Kinder unbekannt. Sie fühlen sich unsicher und ängstlich. Typisch ist oft die Angst nicht akzeptiert zu werden, oder sich nicht zu verstehen. Der Gruppenleiter muss die Kinder einzeln willkommen heißen und sie miteinander vertraut machen. Dazu eignen sich Kennenlernspiele. Man sollte als Gruppenleiter aber in dieser Phase auch die Regeln aufstellen. Was in dieser Phase an Regeln nicht eingeführt wurde, wird später zum Kampf. Ganz wichtig ist es, die Gruppe in dieser Phase genau zu beobachten. Kinder, die in dieser Phase schon „raus" sind, bleiben draußen, wenn der Gruppenleiter sich nicht intensiv um ihre Integration bemüht. Außerdem ist es für Konfliktlösungen immer gut zu wissen, wer wen mag und wen nicht. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass hier klare Programmpunkte/Beschäftigungen vom Gruppenleiter angeboten werden müssen. Man sollte sich als Gruppenleiter bewusst sein, dass man von den Kindern in dieser Phase auf seine Grenzen untersucht wird. ==== 2. Konfliktphase ==== Nachdem man sich etwas kennt, kann es passieren, dass sich innerhalb der Gruppe Grüppchen bilden, die sich besonders gut verstehen. Mit anderen Worten: Der Zusammenhalt der Kleingruppe ist stärker als der der Gesamtgruppe. Geht das über ein gewisses Maß hinaus, dann entstehen Rivalitäten. Generell herrscht aber in der Konfliktphase ein Kampf um die Führung und Rangordnung. Hierbei kann auch der Gruppenleiter in Frage gestellt werden. Häufige Streitereien zwischen Einzelnen oder generelle Unruhe in der Gruppe sind keine Seltenheit. Kleinste Anlässe führen zu enormen Konflikten. In dieser Phase bekommen unerfahrene Gruppenleiter oft das Gefühl „alles falsch zu machen". Man sollte sich bewusst sein, dass diese Phase auch negative Seiten hat, mit denen man leben muss. Es ist dabei wichtig, Grenzen für Konflikte zu wahren. Streitereien sind normal, Prügeleien nicht. Das bedeutet aber auch, dass die Gruppe bei Konfliktlösungen nicht auf sich allein gestellt sein darf. Üblicherweise kann eine Gruppe in dieser Phase Konflikte nicht allein lösen. Wettkämpfe können hier hilfreich sein, müssen sie aber nicht. Klärende Gespräche mit einzelnen Kindern oder allen sind das geeignete Mittel. Aufzeigen von einfachen oder temporären Lösungen hilft, kleine Anlässe für große Konflikte zu beseitigen. Diese Lösungen müssen nicht Dauerhaft sein, da sie nur für die Konfliktphase notwendig sind. In den folgenden Phasen regelt die Gruppe das allein. Aber vorsicht! Man darf sich nicht verleiten lassen, Partei für Kinder zu ergreifen, nur weil man sie besonders mag. Die Gespräche müssen konstruktiv und sachlich sein. Der Gruppenleiter sollte sich in dieser Phase (wie auch in allen anderen) Rückendeckung vom Teamleiter oder erfahreneren Gruppenleitern holen, dann hat er mehr Kraft und „stemmt" nicht alles alleine. Sollte es doch dazu kommen, dass man nicht mehr kann, dann sollte man sofort mit dem Teamleiter sprechen. Ein [[:leitfaden/2._der_gruppenleiter#weinen_vor_den_kindern|Gruppenleiter der vor seinen Kindern]] weint, weil er nicht klarkommt, hat in den meisten Fällen verloren. ==== 3. Produktive Phase ==== In dieser Phase sind die Rollen verteilt, Machtkämpfe sind vorbei. Konflikte können oft selbst geklärt werden, die Zusammengehörigkeit ist gefestigt. In dieser Phase können Aufgaben an die Kinder gegeben werden, die vorher der Gruppenleiter erledigte. Das stärkt das Selbstvertrauen der Kinder, weil sie Verantwortung übernehmen. Der Gruppenleiter kann in dieser Phase Freiräume lassen, die Gruppe kann sich eine Zeitlang selbst beschäftigen und fordert das teilweise auch ein. In dieser Phase kann die Gruppe komplexe Aufgabenstellungen lösen. Diese Phase ist maßgeblich verantwortlich dafür, ob ein Ferienlager von den Kindern als schön empfunden wird oder nicht. Hieran sollte der Gruppenleiter denken und schöne Erinnerungen schaffen. ==== 4. Trennungsphase ==== Jede Gruppe muss sich irgendwann trennen. Entweder weil die Ziele erreicht (oder nicht mehr vorhanden) sind oder weil die Zeit abgelaufen ist. Oftmals sind die Kinder in der Phase zwiespältig. Zum einen freuen sie sich auf zu Hause, andererseits wollen sie die schöne Zeit verlängern. Hierbei muss der Gruppenleiter einen schönen Abschluss für die Gruppe finden und übermäßige Emotionen wegfangen. Auch Feedback der Aktionen und der Lagers als ganzes gehört hier mit dazu. Der Gruppenleiter sollte selbst Feedback geben und kann sich mit den Feedbackmethoden aus Abschnitt [[7. Werkzeuge]] die Meinungen der Kinder einholen. ===== Typische Rollen in einer Gruppe ===== Wer kennt sie nicht? Kinder, die sich nicht wie alle anderen benehmen? Kinder, die nörgeln, Kinder, die streiten und schlagen, Kinder, die über alles lachen. Aber wie geht man mit ihnen um? Ganz ehrlich, es gibt kein Patentrezept, der Einzelfall entscheidet. Aber es gibt ein paar Erfahrungswerte, die helfen können. \\ :!:Aber Achtung: Eine Bezeichnung wie „Stinkstiefel" oder „Feuermelder" darf einem Gruppenleiter niemals vor einem Kind über die Lippen gehen, sonst macht man aus einem „Feuermelder" schnell einen Außenseiter und diese Mischung kann nicht gut sein. ==== Der „Außenseiter" ==== Außenseiter sind von Beginn an „raus" aus der Gruppe. Sie haben keine richtigen Freunde und werden nicht richtig akzeptiert. Oftmals sind diese Kinder besonders anhänglich und suchen ihre Aufmerksamkeit beim Gruppenleiter. Der Gruppenleiter muss solche Kinder schnellstmöglich erkennen und schon in der Orientierungsphase gegenlenken. Er sollte versuchen, diese Kinder immer wieder in die Gruppe „mitzunehmen" und viele Kontaktpunkte schaffen. Im Zweifelsfall sollte man sich eher auf die Seite des schwächeren Außenseiters stellen, um dem Kind das Gefühl zu geben, für die Gruppe einen Wert zu haben. Zuviel Parteinahme und Engagement entzieht dem Außenseiter aber ggf. auch die Eigenverantwortung für seine Integration und ermöglicht es ihm nicht, selbst zu lernen, wie man sich in Gruppen integriert. Ausgewogenheit ist also auch hier für den Gruppenleiter essentiell. Und bewußte Zurückhaltung kann manchmal hilfreich sein, um ein wichtiges [[1._zielsetzung#Sozialer Kontakt und Einordnung in soziale Strukturen|Ziel von Ferienlagern]] zu erreichen, nämlich die Einordnung in soziale Strukturen. Aber man sollte sich auch bewusst sein, dass es Kinder gibt, die keinen richtigen Kontakt wollen, oder nicht die soziale Kompetenz haben, um einen solchen aufzubauen. Diese Kinder müssen es nicht unbedingt als schlecht empfinden, wenig Kontakt zu haben. Man sollte solchen Kindern auch keinen Kontakt aufzwingen. ==== Der „Chef" ==== Der Chef fühlt sich als Nummer 1 in der Gruppe und in der Rangfolge knapp hinter (oder gar gleichberechtigt mit) dem Gruppenleiter. Seine Meinung ist die Meinung der Gruppe, auch wenn alle gegen ihn sind. Der Gruppenleiter sollte die Grenzen klar machen und die Tatsachen verdeutlichen. Der Chef ist ein Kind, wie jedes andere, und sollte ganz bewusst „durchschnittlich" behandelt werden. Chefs wollen viel Verantwortung in der Gruppe und das kann zur Verführung für den Gruppenleiter werden, ungeliebte Aufgaben weiter zu deligieren. Man muss sich im Klaren sein, dass das der Gruppendynamik nicht unbedingt zuträglich ist. ==== Der „Feuermelder" ==== Es gibt Kinder, die ziehen Ärger nur so an, gewollt oder ungewollt. Diese Kinder sind wie „schwarze Schafe". Sie stänkern, zerstören, meckern, oder sind einfach nur tolpatschig. Oftmals bekommen „Feuermelder" in ihrem heimatlichen Freundeskreis so Aufmerksamkeit und diese „Taktik" nehmen sie mit ins Ferienlager. Schimpfe oder Schelte prallen an solchen Kindern meist wirkungslos ab. Man sollte versuchen, Talente oder Stärken herauszufinden und diese gezielt einsetzen, um dem „Feuermelder" Anerkennung auf anderem Wege zu ermöglichen. Natürlich sollte der das Kind zur Verantwortung gezogen werden, wenn es etwas anstellt, nur müssen die Methoden andere sein als Schreien und Drohen. Man sollte hier sehr vorsichtig sein. Oftmals gehen bei Gruppenleitern schon die Alarmglocken an, bevor der „Feuermelder" zuschlägt. Dann bekommt er ungerechte Meckerei auf Vorschuss und seine Hemmschwelle sinkt immer weiter. ==== Der „Stinkstiefel" ==== „Stinkstiefel" sind schwer zu begeistern. Alles finden si blöd, keine Aktion macht Spaß, Freizeit aber auch nicht. Der „Stinkstiefel" kann die Stimmung in der ganzen Gruppe zerstören, was besonders bei Heimwehkindern schlimme Folgen haben kann. Der Gruppenleiter sollte auf Kritik eingehen und mit Fakten widerlegen ("Klar hat dir das Spiel Spaß gemacht, du hast die ganze Zeit gelacht"). Man kann auch gezielt nach Details oder einer Konkretisierung fragen. Spürt der Gruppenleiter einen schlechten Einfluss auf die Gruppe, sollte er sich den „Stinkstiefel" zur Seite nehmen und ihm sagen, dass er ihn durchschaut. Es kann manchmal auch nicht schaden, wenn man selbst ein bisschen nörgelt und dem „Stinkstiefel" zeigt und sagt, dass und wie er nervt und dass man darüber ganz schön traurig ist. Schließlich versucht man die ganze Zeit alles schön zu machen und alles was der „Stinkstiefel" kann, ist meckern. Ehrlichkeit währt hier oft am längsten. ===== Konflikte in der Gruppe ===== Konflikte in der Gruppe sind normal und wichtig. Darüber werden die Positionen innerhalb der Gruppe ausgemacht. Das bedeutet, dass viele Konflikte keines Eingreifens bedürfen. Hat der Gruppenleiter aber das Gefühl, dass der Konflikt negativen Einfluss auf die Gruppe hat, empfiehlt sich ein Eingriff. Zunächst sollte sich der Gruppenleiter alle Positionen in Ruhe anhören, ggf. einzeln. Zusammen sollten dann Lösungsmöglichkeiten gefunden werden. Falls nötig, sollte das falsche Verhalten herausgestellt werden. Ziel sollte sein, dass die Kinder ihre Schuld selbst einsehen und sich beim anderen entschuldigen. Meist ist dies zwar nur ein symbolischer Akt, doch hilft er trotzdem die Situation in der Gruppe zu entspannen. Auch wenn es für das Problem keine wirkliche Lösung gibt, normalisiert sich die Lage in der Gruppe häufig nach einem Gespräch. Ist die Situation so festgefahren, dass ein klärendes Gespräch ohne Wirkung/Lösung bleibt, sollte man den Teamleiter dazu bitten. Er steht nicht direkt in der Gruppe und ist unparteiisch. Durch diesen Umstand und durch die größere Erfahrung des Teamleiters können Probleme oft einfacher werden. Falls die Situation mit diesen Mitteln aussichtslos scheint, kann man mit dem Teamleiter „guter Bulle, böser Bulle" spielen. Der Teamleiter geht dazu in die Gruppe, vermeintlich aufgebracht, und setzt der Situation durch diskussionslose „Schimpferei" ein Ende (böser Bulle eben). Ist die Gruppe hinreichend „erschrocken" über die Situation, verlässt der Teamleiter die Gruppe. Üblicherweise ist sie jetzt gesprächsbereit und willig eine Lösung herbei zu führen. Der Gruppenleiter führt jetzt in aller Ruhe das Gespräch und versucht dabei auch klar zu machen, dass die Gruppe dem Teamleiter keine Wahl gelassen hat. Er ist schließlich noch mit anderen Sachen beschäftigt als nur mit dieser Gruppe. Über diesen Weg bekommt das Image des Teamleiters keinen Schaden. Der Teamleiter muss anschließend aber wieder ganz normal mit den Kindern umgehen. Das erfordert etwas Nerven und Schauspieltalent aber es funktioniert, zumindest beim ersten Mal. Hilft das alles nichts, kann der Gruppenleiter über Strafen nachdenken. Falls sich der Gruppenleiter für [[4._rechtslage#bestrafung_von_kindern|Sanktionen]] entscheidet, müssen diese immer der jeweiligen Schuld angemessen sein. Und er sollte vorher überlegen, ob es nicht besser wäre, den Kindern klar zu machen, dass sie den Gruppenleiter durch ihr Handeln traurig machen. Ein schlechtes Gewissen hilft oftmals mehr als Strafen. Die letzte Instanz sollte es sein, jemanden nach Hause zu schicken. Es gibt Kinder, die können die Harmonie innerhalb einer Gruppe trotz aller Maßnahmen und Erfahrungen des Gruppenleiters regelrecht zerstören. In diesem Fall ist es für die anderen Kinder besser, wenn der Delinquent die Gruppe verlässt. Vorher muss man aber mit Teamleiter, Träger und Eltern gesprochen haben. Noch eine Anmerkung dazu: Die Erfahrung zeigt, dass meist kaum die Notwendigkeit besteht, ein Kind wirklich nach Hause zu schicken. Sehr viele Ferienlager kommen ohne diese Maßnahme aus. Der Anpsruch eines Gruppenleiters sollte nämlich immer sein, dass alle Kinder „durchkommen". Die bloße Androhung der Heimfahrt kann manchmal schon Wunder wirken.